Besonders erfreulich war in diesem Jahr, dass das Gedenken von Schülerinnen unserer Schulen mit gestaltet wurden. Sophia Weltzien und Louisa Berlin der Geschwister-Scholl-Grundschule trugen das Gedicht "Stilles Gedenken" von Katharina Dahms auf Deutsch vor, Anna Bräuer rezitierte dieses Gedicht auf Französisch. Anna Bräuer (Fläming-Gymnasium)

Lilli Mischke, Lene Deichgräber und Direktor Alexander Ulbricht von der Krause Tschetschog-Oberschule übernahmen gemeinsam die Rede. Anschließend ergriff Helena Rens, Nichte der wenige Tage vor der Befreiung in der Krankenbaracke verstorbenen Maria Aerts aus Belgien das Wort. Dieter Halbach vollendete die Gedenkveranstaltung mit jüdischen Liedern, die Frauen im KZ gesungen hatten.
Louisa Berlin und Sophia Weltzien (Geschwister-Scholl-Schule)

Alexander Ulbrich: Vorwort

Liebe Gäste,

es ist seit vielen Jahren Tradition, dass auch die Belziger Schulen an der jährlichen Gendenkveranstaltung im Grünen Grund teilnehmen und so sprach mich Frau Richter im Herbst letzten Jahres an und bat mich, einen Teil der Gedenkveranstaltung mitzugestalten.
Gemeinsam überlegten wir, wie sich unsere Oberschule sinnvoll einbringen könnte. Ein Chor mit Friedensliedern, so wie im letzten Jahr, und eine Rede vom Schulleiter wären gut. Doch manchmal ergeben sich die Dinge wie von selbst: Kurz nach dem Besuch von Frau Richter kamen Lene Deichgräber und Lilli Mischke nach dem Geschichtsunterricht zu mir. Sie wollten ihre Facharbeit im Unterrichtsfach Geschichte schreiben und sich mit dem Außenlager Roederhof befassen, Schicksale von Insassinnen vorstellen.

Mit Hilfe der Bücher Schicksale 1 – 4, Besuchen im Heimatmuseum Bad Belzig sowie der Schautafeln hier im Grünen Grund, gelang den Schülerinnen der Jahrgangsstufe 9 eine beachtliche Facharbeit.

Besonders freut mich, dass sich einige unserer Schüler bewusst mit diesem Kapitel unserer Heimatgeschichte befassen und so helfen, die Erinnerungen aufrechtzuerhalten. Nur wer die Geschichte der eigenen Heimatstadt kennt, kann mitreden, sich ein eigenes Urteil bilden und ist in Zeiten des Internets und der sozialen Medien besser geschützt vor Verharmlosung und Geschichtsverdrehung.

Und nun ist es Zeit, den beiden Mädchen das Wort zu übergeben.

Lilli Mischke: Albertine de Bus

Ich heiße Lilli Mischke und besuche die Klasse 9a der Krause-Tschetschog-Oberschule. In meiner Facharbeit habe ich mich mit dem Schicksal von Albertine de Bus beschäftigt.
Albertine de Bus wurde am 21. Mai 1921 in Belgien geboren. Nach der Heirat mit ihrem Mann Julien trat sie 1943 in den Widerstand ein. Sie verteilte Flugblätter, sammelte Gelder für Widerstandskämpfer und half untergetauchten Menschen mit Lebensmitteln. Im Juli 1944 wurde Albertine von den deutschen Besatzern verhaftet und nach einigen kurzen Aufenthalten in verschiedenen Gefängnissen als politischer Häftling aus dem Konzentrationslager Ravensbrück in das Außenlager Belzig gebracht.

Ihre Häftlingsnummer lautete: 10038. Diese Nummer musste Albertine, wie alle Insassinnen, auf Deutsch auswendig lernen. Sie wurde vom Wachpersonal nur noch mit dieser Nummer angesprochen. Sie hatte Ihre Identität verloren.
Im Außenlager Belzig herrschten schreckliche Verhältnisse für die Insassinnen: Die Frauen mussten auf Strohsäcken in mehrstöckigen Betten schlafen. Die mangelnde Hygiene, die unzureichende Ernährung und Kleidung, die unmenschlichen Strafen bei kleinsten Vergehen sowie stundenlange Appelle entkräfteten die Frauen.

Hinzu kam die harte körperliche Arbeit in der Munitionsfabrik. Der Hin- und Rückweg musste stets im Schnellschritt oder sogar rennend absolviert werden. Dabei wurden die Frauen vom Wachpersonal und Wachhunden gehetzt. Die Arbeitsschicht dauerte zwölf Stunden. Die Arbeit musste meist im Stehen durchgeführt werden. Es gab nur eine kurze Pause und kaum zu essen.

Die Haftbedingungen schwächten Albertine so sehr, dass sie sich im Winter 1944/1945 eine Lungenentzündung zuzog. Im April 1945 räumte die SS das Lager und trieb die Insassinnen auf einen Todesmarsch Richtung Altengrabow. Albertine brach auf dem Marsch zwischen Görzke und Altengrabow erschöpft zusammen und wurde von der SS am Straßenrand erschossen.

 

Lilli Mischke, Lene Deichgräber und Alexander Ulbrich

Lene Deichgräber: Vera Koldova

Ich heiße Lene Deichgräber und besuche ebenfalls die Klasse 9a der Krause-Tschetschog-Oberschule. In meiner Facharbeit habe ich mich mit den Erinnerungen von Vera Koldova beschäftigt.

Vera Koldova wurde in der Tschechoslowakei geboren. Wie Albertine de Bus, war auch Vera Koldova im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aktiv und wurde deswegen verhaftet und inhaftiert. Von Oktober 1944 bis Ende April 1945 war sie Insassin im Außenlager Belzig.
In ihren Erinnerungen schildert Vera Koldova den brutalen Alltag im Lager und die fürchterlichen Arbeitsbedingungen in der Munitionsfabrik. Sie erzählt von den harten Strafen durch das Wachpersonal und den vielen Schlägen bei kleinsten Vergehen. Und sie berichtet sehr eindrücklich von der Verzweiflung der Frauen im Lager: Manche der Insassinnen ertrugen den Lageralltag nicht mehr und stürzten sich freiwillig in den elektrischen Zaun, mit dem das Lager umzäunt war.

Besonders der Todesmarsch im April 1945 war für sie ein schreckliches Erlebnis, denn obwohl ihr während einer kleinen Pause kurz vor Görzke gemeinsam mit anderen Frauen die Flucht gelang, musste sie bis dahin mit ansehen, wie viele ihrer Kameradinnen zusammenbrachen und getötet wurden.
In ihren Erinnerungen schildert Vera Koldova, wie sie überleben konnte. Sie hatte immer einen kleinen Rest Hoffnung und sie versuchte, trotz des Grauens, immer an etwas Gutes zu denken. Auch die Solidarität unter den Frauen war für sie sehr wichtig. Die gegenseitige Hilfe gab ihr Kraft.
 
Fazit
 
Bei den Recherchen über das Außenlager Belzig ist uns das Ausmaß an Unmenschlichkeit in diesem Lager bewusst geworden. Der Lageralltag der Gefangenen war erbarmungslos und grausam. Die Schicksale der Lagerinsassinnen haben uns traurig und nachdenklich gemacht.
Wir sind froh darüber, dass wir in einem Land aufwachsen dürfen, in dem es solche Lager nicht mehr gibt und in dem man keine Angst haben muss. Und trotzdem ist es für uns unfassbar, dass es auch heute noch Straflager auf dieser Welt gibt, in denen Menschen inhaftiert, ausgebeutet und gequält werden, weil sie nicht der Norm entsprechen oder nicht in das System passen.

Gedenkbrief

Sehr verehrte Damen und Herren,

heute ist ein besonderer Tag. Denn das, was genau vor 78 Jahren, am 1.Mai des Jahres 1945, an diesem Ort geschah, ging für die Stadt Bad Belzig in die Geschichte ein. Der Roederhof, auf dem sie alle heute hier versammelt stehen war ein Ort des Grauens. Ein dunkler Punkt in den Erinnerungen unzähliger Menschen. Eine Geschichte, von der jeder, der sich mit ihr auseinandersetzt, verstört zurückbleibt.
Was an einem, in den Augen unserer Generation, so idyllischen Ort geschehen ist, ist aus heutiger Sicht unbegreiflich. Als historisch interessierte Schüler eines Geschichtskurses des Fläming Gymnasiums erfasste uns bei der Recherche immer wieder der Reflex, nicht weiterlesen zu wollen und diese abzubrechen, weil man immer wieder von dem Gefühl erfasst wurde, das, was man liest, nicht länger ertragen zu können.
Und doch wussten wir – der Rückzug kann nicht die Lösung sein. Gerade vor dem Hintergrund des Erstarkens rechter Gruppierungen gilt es, immer wieder zu erinnern, welche grauenhaften Verbrechen hier begangen wurden und was als Rechtfertigung dafür diente.
Damals wie heute lag der Ursprung darin, dass sich Menschen über andere Menschen stellten, sie in Kategorien einteilten und meinten, das Recht zu haben, sich über andere zu erheben, diese abzuwerten und in der Folge anzugreifen uns auszunutzen.
Mit diesem Wissen muss es heute unsere oberste Prämisse sein, demokratische Werte und Grundsätze zu leben und zu verteidigen. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung, in der wir leben, ist keine Selbstverständlichkeit, weshalb ihr Wert immer wieder hervorgehoben werden muss.
So wie damals müssen wir auch heute bei Tendenzen, die sich gegen unser friedliches Zusammenleben wenden, den Mut haben, diesen entschlossen entgegenzutreten und zu erinnern, was in der Vergangenheit entstand, aus eben denselben genannten Motiven.
An alle Opfer, Familienmitglieder, Betroffene und Anteilnehmende, die heute hier versammelt sind, wollen wir noch einmal sagen: Ihre Anwesenheit berührt und gedenkt Jenen, die nicht mehr unter uns sind, und wird nicht umsonst sein. Denn, wie schon die gütige, bewundernswerte Baronin del Marmol vor ihrem Tod sagte:
„Dass Gutes aus meinem Leid entstehe…“.
Wir bedanken uns, für ihre Zeit und Motivation, einem so bedeutungsvollen Ereignis zu gedenken.

Mit freundlichen Grüßen

Elisabeth Eichler und Emma Jaeck (Geschichtsgrundkurs 12ge1, Bad Belzig im September 2023)

Fotos: Inge Richter, Burkhard Alexander Pranke